The Surge – Spielen, um zu scheitern

The Surge

Wer spielt, will in der Regel gewinnen. Für gewöhnlich spielt niemand in dem Wissen, dass er verlieren wird. Zumindest nicht freiwillig. Ich tue es jetzt aber trotzdem. Ganz vorsichtig und in kleinen Dosen. The Surge vom deutschen Entwickler Deck13 war im August im Monthly Humble dabei (Hier geht’s zur Demo auf Steam). Seitdem schlummerte es in meiner Bibliothek. Ich hatte viel Gutes gehört, war mir aber sicher: „Das ist nichts für mich“. Und nun spiele ich es doch. Und ich sterbe. Immer wieder. Schon lange hat mich kein Spiel mehr so erregt, so aufgeregt und vom Einschlafen abgehalten. Aber der Reihe nach.

Früher spielte ich noch alles

In den ersten Jahren, in denen ich einen Computer besaß, spielte ich alles, was mir zwischen die Finger kam. Jede Demo von jeder Heft-CD wurde installiert und ausprobiert. Damals hätte ich bei keinem Spiel gesagt: „Das ist nichts für mich“. Mit der Zeit wurde ich in manchen Spielen besser: Adventures, Rollenspiele, Rundenstrategie. Spielen eben, bei denen man sich Zeit lassen konnte mit der Antwort, der Reaktion. Spiele, bei denen ich schnell oder unter Zeitdruck reagieren musste, waren mir zu hektisch.

Während der letzten zwei Jahrzehnte mied ich also all jene Genres, in denen ich schlecht war. Startete ich doch mal ein Spiel, das nicht zu meinen Vorlieben passte, scheiterte ich meist und gab unvermittelt und frustriert auf. „Das ist eben nichts für mich“, sagte ich mir dann. Damit muss ich leben, dafür bin ich eben nicht geschaffen. Aber eigentlich war ich traurig um die versäumten Geschichten und sauer auf mich selbst, dass ich es nicht besser konnte.

Als hätte ich zwei linke Daumen

Vor etlichen Jahren kam Assassins Creed: Black Flag raus. Eine herrliche karibische Open-World und Piraten – das wollte ich auch! Als Story-Fanatiker fing ich natürlich mit dem ersten Teil an. Und als PC-Gamer kannte ich nur Maus und Tastatur. Damit den Assassinen über Dächer und Balustraden zu steuern war gelinde gesagt eine Katastrophe. Die Maus war viel zu empfindlich, ständig blieb ich an Ecken und Kanten hängen oder fiel unvermittelt vom Balkon. Da war für mich klar, ich brauchte ein Gamepad.

Ich hatte seit SNES-Tagen keinen Controller mehr in der Hand gehabt und der hatte nur ein Steuerkreuz und vier Buttons. Keine zwei Analog-Sticks, ein Steuerkreuz, vier Buttons, zwei Schulterbuttons und zwei Trigger. Laufen mit den linken Daumen und die Kamera mit dem rechten Daumen steuern, das war mir suspekt. Es kam, wie es kommen musste: Ich scheiterte. Und ich gab auf. Monatelang lag mein neues Gamepad in der Schublade, Assassins Creed deinstallierte ich wieder. „Das war eben nichts für mich.“

Und doch wurmte es mich. Also versuchte es ich irgendwann wieder. Und auch wenn der Controller das ein oder andere Mal durchs Wohnzimmer flog: Ich gab diesmal nicht auf. Je weiter ich in der Reihe vorrankam, umso geschmeidiger wurde das Klettern und Meucheln. Ob das nun an der Entwicklung des Spiels oder an meinem Lernprozess mit dem Gamepad lag, vermag ich nicht mehr zu sagen. Jedenfalls klopfe ich seitdem jedes Spiel auf Controller-Tauglichkeit ab. The Witcher 3 mit Maus und Tastatur zu spielen, würde mir im Traum nicht einfallen.

The Surge will wehtun

The Surge ist nun ein Spiel, dass sich damit rühmt wie die Dark Souls-Spiele zu sein. Also vor allem unverzeihlich, was Fehler angeht. Und wie auch beim Gamepad, will ich schon lange den Versuch wagen. Ich besitze sogar alle drei Dark Souls-Teile. Zwei davon waren ebenfalls mal im Monthly Humble. Immer wieder sehe ich sie in meiner Steam-Bibliothek. Immer wieder erinnern sie mich an das, was ich nicht kann. Oder mich nicht traue. Das ärgert mich. Ich sage mir oft: „Wenn ich mal Zeit und Muße habe“. Aber mal im Ernst: Das wird nicht von allein passieren.

Vor einer Woche, ich richtete mein Steam-Link am Fernseher neu ein, brauchte ich ein Controller-taugliches Spiel zum Testen. Eine gute Gelegenheit, The Surge mal zu installieren. „Jetzt oder nie“, war mein Gedanke. Ich war so aufgeregt wie ein kleines Kind, dass einen Horrorfilm zum ersten Mal sieht. Der Twist am Ende des Intros machte mir unmissverständlich klar: Hier gibt es keine Gnade, The Surge wird wehtun.

Der miese Drecksack vs. Innerer Schweinehund

Die ersten Gegner und die ersten Tode verkraftete ich ganz gut. Die Spielmechanik fand ich faszinierend. Gehe ich weiter oder bringe ich meine Beute in Sicherheit und rüste mich besser aus? Dafür muss ich dann aber wieder von vorne anfangen. Abkürzungen sparen zwar Zeit, sind aber nicht unbedingt sicherer. Es lief erstaunlich gut, bis ich zum ersten Zwischenboss kam. Hier starb ich bestimmt zehn Mal ohne den Hauch einer Chance. Für einen kurzen Moment dachte ich: „War schön bis hier, ist aber vielleicht doch nichts für mich“.

Ich bin froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Am nächsten Tag schaffte ich diesen miesen Drecksack. Das Glücksgefühl hielt sich aber in Grenzen. Zum einen war ich von meiner eigenen Leistung nicht vollends überzeugt. Zum anderen hatte ich zu viel Angst, dass hinter der nächsten Ecke ein noch mieserer Drecksack lauern könnte, der mir meinen Triumph im wahrsten Sinne des Wortes wieder aus dem Kopf schlägt. Jetzt schlage und sterbe ich mir meinen Weg durch das nächste Areal der Spielwelt von The Surge. Ich scheitere immer wieder, sterbe immer wieder, fange immer wieder neu an. Ich bin immer wieder aufgeregt und traue mich kaum, das Spiel zu starten. Noch zu groß ist die Angst vor dem Scheitern. Ich gewöhne mich hoffentlich bald daran. Ich will lernen, mit dem Scheitern umzugehen. Und ich will mir auch andere bockschwere Spielwelten erschließen.

The Surge

Düstere Atmosphäre im Sci-Fi-Spiel The Surge, Quelle: Deck13 Interactive

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