Wolfenstein 2 – The New Colossus

Ein nett gemeinter Hinweis an das Regime, das Amerika besetzt hält: Ihr habt euch mit dem falschen Land angelegt. Es wird höchste Zeit, sich zu erheben und zurückzuschlagen. In der Rolle des Kriegshelden William B.J. Blazkowicz vereinen wir die einzelnen Widerstandszellen in einer alternativen Welt der 1960er Jahre, um in MachineGames‚ Nachfolger Wolfenstein 2 – The New Colossos sein Heimatland zurückzuerobern. Wir sind den Rufen gefolgt und in den Kampf gegen das Regime gezogen.

Bitte lächeln

 „Noch am Leben?“

B.J. Blazkowicz ist ein Wrack – abgemagert und ausgemerzt sitzt er nach fünf Monaten Koma im Rollstuhl. Mehr oder minder professionell zusammengeflickt schmerzt sein ganzer Körper. Aber der Wille das Regime in die Knie zu zwingen ist größer als zuvor. Besonders vor dem Hintergrund, dass seine Freundin Anya mit Zwillingen schwanger ist. Für ihn wird es diesmal persönlich. Er wird bald Vater und will seine Zwillinge nicht in einer Welt voller Terror und Faschismus aufwachsen sehen. So zieht er wieder einmal in den Kampf gegen das Regime, das im Gegensatz zum Vorgänger einen noch psychopathischeren Bösewicht auf seine Fersen hetzt.

Rauchen kann tödlich sein

Wer den Vorgänger verpasst hat, erhält zu Beginn eine kurze Zusammenfassung . B.J. Blazkowicz, der legendäre Regimekiller, wachte in Wolfenstein: The new Order nach einem vierzehnjährigem Koma in einer Welt auf, in der die Achsenmächte den zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Er schloss sich einer Widerstandsgruppe an und zündete am Ende eine Atombombe, um seinen Widersacher General Totenkopf ein für allemal auszulöschen. Doch wie bei einer Hydra, wo jeder Versuch einer Eindämmung des Bösen nur zu einer Ausweitung der Eskalation führt, liefert The New Colossos einen noch größeren Psychopathen ohne Skrupel – General Frau Engel. Eine sadistische Faschistin, die alles daran setzt B.J. Blazkowicz zu jagen und zu töten.

Frau Engel zeigt sofort ihre sadistische Fratze

„Für Caroline!“

Zu Beginn der Kampagne befinden wir uns auf einem riesigen U-Boot namens Hammerfaust, welches die Widerstandsgruppe Wiesenau-Rebellen vom Regime gekapert hat. BJ erholt sich gerade von seinen Strapazen des ersten Teils, während Frau Engel unseren Standort ausfindet gemacht hat und die Belagerung beginnt. Zeit für eine Reha hat Blazkowicz leider nicht. So bugsiert er sich in einen Rollstuhl und macht sich auf in den Kampf. Schnell merken wir jedoch, dass der Kampf ein ziemliches Ungleichgewicht hat. General Engel konnte zwei Geiseln nehmen und uns auf ihr Flagschiff, den Ausmerzer locken. In einer beeindruckenden Zwischensequenz lernen wir die vollkommend wahnsinnige und sadistische Frau kennen. Mit unerwarteter Hilfe können wir jedoch fliehen und die Hammerfaust zurückerobern. Das U-Boot dient uns fortan als Zentrale von der aus wir die Befreiung der Vereinigten Staaten von Amerika und den Rest der Welt planen und initiieren. Die Hauptmission führt uns in eine abgeschottete Sektion der Hammerfaust, in das nuklear verseuchte Manhattan, nach Roswell, ins abgeschottete New Orleans, und in diverse unterirdische Bunker- und Waffenanlagen. Sogar eine Spritztour auf die Venus gehört auf unseren Reiseplan. Und keine Angst. Eine Art Maschinenrüstung lässt B.J. Blazkowicz wieder auf zwei Beinen kämpfen, jedoch erstmal nur mit halber Gesundheit, denn die Wunden der Vergangenheit sind noch groß.

Auf leisen Sohlen gegen schweres Gerät

Das Erbe antreten

Obwohl Wolfenstein 2 ein Shooter der alten Schule ist, in dem die schnelle Action im Vordergrund steht, zeigt uns Bethesda auch eine emotionale Seite. Zwischen der ganzen Brutalität der Story, nimmt sich das Spiel auch mal Zeit für ruhige Momente, in der wir den Hauptakteur besser kennenlernen. So erleben wir B.J. Blazkowicz als kleinen Jungen, wie er und seine Mutter unter seinen despotischen und faschistischen Vater leiden mussten und immer noch leiden müssen, denn seine Vergangenheit holt ihn während der Story ein. Viele der aufwendig inszenierten Zwischensequenzen greifen das Thema Rassismus auf und zeigen die teuflische und sadistische Fratze eines faschistioden Systems, das sich als überlegende Herrenrasse gegenüber allen anderen ansieht. Die Story mit all ihren Wendungen und Entwicklungen ist hervorragend inszeniert. Bethesda ist der Spagat zwischen äußerst brutalen, schwermütigen und emotionalen Storyelementen gelungen. Besonders die Gebrechlichkeit des Protagonisten hat uns seht gut gefallen. Immer wieder wird William von Schmerzen heimgesucht und hadert mit seinem eigenen Leben. Für eine Ein-Mann-Armee recht ungewöhnlich, aber nicht zu dick aufgetragen.

Das Hündchen will sicherlich nicht nur spielen

Hölle auf Erden

Zwar wird uns in Wolfenstein 2 unser Missionsziel immer klar vorgeben, so können wir jedoch fast eigenständig entschieden, wie wir es erreichen wollen. Entweder mit brachialer Waffengewalt oder schleichend. Wählen wir die Stealthvariante müssen wir lautlos Kommandanten erledigen, damit sie keine Verstärkung rufen können. Über eine Signalanzeige erkennen wir ihren ungefähren Standort. Leider gibt es einige Levelabschnitte in der nicht klar abzusehen ist, wo sie sich genau befinden und wir prompt von Regimesoldaten entdeckt werden. Sobald wir entdeckt wurden, bricht die Hölle los. Die Kommandanten rufen solange nach Verstärkung, bis wir sie ausgeschaltet haben. Ab hier müssen wir uns den Weg zu ihnen freischiessen. Kommt es zum Gefecht, steht uns ein ansehnliches Waffenarsenal vom Sturmgewehr, über Schrottflinten, bis zum Lasergewehr einiges zur Verfügung, das wir in bester Rambo-Manier auch beidhändig nutzen können. Darüberhinaus gibt es noch vier riesige Waffen, wie das Dieselgewehr oder das Laserkraftwerk, die nur über begrenzte Munition, aber mächtiger Durchschlagskraft verfügen. Kommt es zum Kampf wird mächtig aufs Tempo gedrückt und das Blut spritzt in Unmengen.

Jetzt ganz leise

Damit wir im späteren Spielverlauf gegen immer größere und mächtigere Gegnertypen auch nur den Hauch einer Chance haben, können wir unsere Fähigkeiten verbessern. Diese Vorteile werden in den Kategorien Heimlichkeit, Chaos und Taktik unterteilt. Töten wir zum Beispiel eine gewisse Anzahl von Gegner mit Kopftreffern, erhalten wir einen erhöhten Schaden beim Einsatz des Visiers, oder wir bewegen uns schneller beim Ducken, wenn wir Soldaten heimlich von hinten überwältigen und töten. Aber nicht nur unsere Fähigkeiten im Kampf können wir weiterentwickeln, sondern auch unsere eingesetzten Waffen. Über Waffenverbesserungen, wie ein größeres Magazin, Schalldämpfer oder panzerbrechende Munition erhöhen wir unsere Durchschlagskraft gegen das Regime. Wie es sich für einen waschechten Shooter gehört, gibt es in Wolfenstein 2 keine automatische Gesundheitsregenerierung. Werden wir getroffen, müssen wir Healthpacks aufsammeln, um unsere Gesundheit wieder aufzufrischen. Das Sammeln der Gegenständen ist jedoch ein kleines Problem. Normalerweise sollten Munition, Healthpacks und Rüstungsteile automatisch eingesammelt werden, sobald wir rüberlaufen. Dies funktioniert aber nur zum Teil. Ab der zweiten Hälfte des Spiels wird ein weiterer Kampfmodus eingeführt. Nach einer perfekt inszenierten Zwischensesquenz müssen wir uns zwischen Schlachtenläufer, Donnerfäusten oder Pythongurt entscheiden. Mit den Schlachtenläufern, eine Art Stelzen, erreichen wir höher gelegene Areale und können Angriffen besser ausweichen. Mit Hilfe der Donnerfäuste agiert BJ als menschlicher Rammbock und kann so Gegner über den Haufen rennen und baufällige Wände durchbrechen. Der Pythongurt erlaubt uns unseren Körper zusammenzuziehen, um enge Bereiche wie Lüftungsschächte zu betreten.

Wofür wollen wir uns entscheiden?

„Mein Leben!“

Die Spielzeit der Kampagne hängt sehr vom ausgewählten Schwierigkeitsgrad ab. Für den Kampf gegen das Regime stehen uns ganze sieben Schwierigkeitsgrade zur Verfügung. Der letzte, namens „Mein Leben!“, lässt erahnen, dass wir nur ein Leben für den kompletten Durchgang haben. Schon die zweite Stufe hat es in sich. Je höher die Schwierigkeit, desto taktischer agieren die Gegner. Sie werfen mehr Granaten, versuchen uns einzukesseln oder rufen mehr Verstärkung. Leider läuft das Balancing nicht immer ganz rund. Uns ist es häufiger passiert, dass der Spawnpunkt direkt vor einer größeren Gegnertruppe liegt, und wir mit fast keiner Munition in der Tasche mehrfach das Zeitliche segnen. Zum Glück können wir jederzeit im Spiel die Schwierigkeitsstufe über das Optionsmenü ändern. Im mittleren Segment liegt die Spielzeit bei knapp 15 Stunden. Wer alle Nebenmissionen, wie die zusätzlichen Enigma-Missionen absolviert, verdoppelt die Zeit. In diesen Missionen, spüren wir feindliche Maschinenkommandanten mit Hilfe erbeuteter Enigma-Codes, um ihre Schlüsselkarten zu erbeuten. All diese Nebenquests können auch nach absolvieren der Hauptstory erledigt werden.

Wo befindet sich der Maschinenkommandant?

An jeder Ecke gibt es etwas zu sehen

Grafisch präsentiert sich Wolfenstein 2 mit sehr viel Liebe zum Detail. Daher solltet Ihr nicht durch die Level jagen, sondern Euch ein wenig Zeit für die hervorragende Szenerie nehmen. Besonders gelungen ist die Kleinstadt in der Nähe von Roswell, in der das Regime zusammen mit dem Ku-Klux-Klan mit sadistischer Hand herrscht. Während wir durch die Strassen zu unserem Missionsziel schlendern, gibt es an jeder Ecke etwas zu sehen. Straßenhändler preisen Propagandamaterial an, das Kino präsentiert den neuen „Liesel“-Film und die Bevölkerung jubelt einer Parade mit Regimesoldaten zu. Die aus Doom bekannte id Tech 6 Engine bietet realistische Licht- und Schatteneffekte, perfekte Umgebungen und ansehnliche Partikel. Die Animationen, Mimik und Gestik der Personen sind leider nicht immer gut gelungen und wirken manchmal etwas hölzern. Auch die Lippenbewegungen passen nicht immer mit der deutschen Sprachausgabe. An einigen Stellen wird einfach weitergeredet, obwohl der Charakter schon etwas anderes macht. Technisch erreicht Wolfenstein 2 auf der PS4 bis zu 60 FPS und läuft jederzeit flüssig. Auf der PS4 Pro kann man durchgängig eine Auflösung von 1440p bei 60 FPS nutzen.

Prunk und Propaganda

Wie auch schon der Vorgänger bringt Wolfenstein 2 keine Multiplayerkomponente mit. Was seinerzeit für einen Ego-Shooter mehr als nur überraschend war, gilt auch heute noch als höchst ungewöhnlich – jedoch nicht für die Entwickler von MachineGame. In einem kürzlich erschienen Statement, argumentierten die Entwickler, dass man sich voll auf ganz auf die Story konzentrieren wolle, um das Spiel so atmosphärisch wie möglich zu gestalten. Also hat man darauf verzichtet, teure Ressourcen für eine Komponente zu „verschwenden“, die später doch nur von den wenigsten gespielt würde. Sich hauptsächlich auf die Story zu konsentieren war in der Tat eine hervorragende Idee der Entwickler.

Erstmal eine kleine Pause

Fazit

Wolfenstein 2 – The New Colossus ist definitiv kein weiterer Shooter von der Stange. Es ist vielmehr ein B-Movie, in dem wir die Hauptrolle spielen. Zu Beginn braucht das Spiel ein wenig Zeit, um in Gang zu kommen, aber dann wird The New Colossos ein actionreicher Ego-Shooter mit einer hervorragend inszenierten Geschichte. Man merkt, dass sich MaschineGames viel Zeit für die Entwicklung der einzelnen Charaktere genommen hat. Dienen in den meisten Shooter die Nebendarsteller nur als Auftraggeber für neue Missionen, so erhalten sie in Wolfenstein 2 ein eigenes Gesicht mit eigenen Geschichten. Wolfenstein 2 ist nicht nur eine perfekte Fortsetzung, sondern eins der besten Solo-Spiele seit Jahren. Das Spiel ist ein bizarres, actionreiches, äußerst brutales, aber auch emotionales Erlebnis, das den schwierigen Spagat zwischen Freude und Verzweiflung perfekt schafft.

Dieses Review erschien auch in der Nerd-Kiste

Good

  • Dichte und düstere Atmosphäre
  • Perfekt ausgearbeitete Charaktere
  • Viel Liebe zum Detail
  • Viele Überraschungen
  • Hintergrundgeschichte zu BJ Blazkowicz

Bad

  • Teilweise schlechtes Balancing
  • Dialoge nicht immer lippensynchron
9

Fantastisch

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