Mit Spielemessen wie der Gamescom ist das so eine Sache. Auf der einen Seite wollen Spieler und Medienvertreter dort einen möglichst realitätsnahen Blick auf den nächsten großen Hit werfen. In diesem Jahr dürfte das zweifelsfrei Cyberpunk 2077 sein. Auf der anderen Seite arbeiten findige PR-Agenturen daran, möglichst fulminante Visionen zu verkaufen. Daran ist auf beiden Seiten soweit nichts auszusetzen. Als Spieler bekomme ich gern glasige Augen, wenn ein Hochglanztrailer über die Leinwand flimmert. Als Vertreter der Medien lasse ich mich ebenso gerne auf das „Was wäre wenn“-Spiel ein und gebe einem noch unbekannten kleinen Entwickler ein paar Vorschusslorbeeren, wenn die Idee gut klingt.
Manchmal macht einen das Hin und Her zwischen Vision und Realität aber auch den Hype kaputt. So wie bei der diesjährigen Präsentation des Megahits mit Ansage Cyberpunk 2077. Die gesamte Hype-Geschichte des Spiels ist beispiellos. Jahrelang gab es nur ein Teaser-Bild. Dann nur einen Render-Trailer. Vor einem Jahr noch saß ich in der Präsentation, die damals noch ausschließlich Medienvertretern zugänglich war. Zu sehen gab es eine satte dreiviertel Stunde Spiel, live vorgespielt von einem Mitarbeiter von CD Projekt Red. So richtig viel war das gar nicht, es war schnell klar, dass rechts und links des Weges womöglich potemkinsche Dörfer stehen könnten. Aber die Fantasie, was dort alles sein mag im fertigen Spiel, war angeregt, der Hype-Train auf Volldampf.
Die diesjährige Präsentation ist erschreckend ernüchternd. Wieder gab es rund 45 Minuten Gameplay, wieder live vorgespielt. Und auch wenn wir deutlich mehr Fähigkeiten, deutlich mehr Dialoge und zwei verschiedene Spielercharaktere sehen konnten. Das flaue Gefühl, dass rechts und links davon nichts ist, bleibt. Die Moderation klang am vermutlich etwa achten Durchlauf des Tages nicht mehr so, als ob die Spielerin am Gamepad eine Wahl hätte, wohin sie als nächstes geht. An festen Markierungen wurde ihr sogar angezeigt, wann sie in die Rolle der jeweils zweiten Spielfigur zu schlüpfen hatte. Eine offene Welt mit freien Entscheidungen war das noch lange nicht.
Der Hype ist das Produkt aus Idee und Fantasie. Solange wie von Cyberpunk 2077 nur Häppchen zu sehen waren, lief die Fantasie auf Hochtouren. Doch je mehr die Entwickler zeigen, umso weniger Raum bleibt für Fantasie. Die Idee des Spiels, im Falle von Cyberpunk 2077 eine offene Spielwelt mit unbegrenzten Möglichkeiten, muss also stärker in den Vordergrund treten. Doch das tut sie nicht. Als Spieler habe ich längst nicht mehr so gebannt vor der Leinwand gesessen. Ich wollte nicht wieder einen festen Pfad entlangwandern, ich wollte die Freiheit von Night-City erleben! Ich wollte wissen, das in diesem Moloch der Zukunft lost ist! Als Medienvertreter fällt es mir daher schwer, den offiziellen Release-Termin im April 2020 noch ernstzunehmen.